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Markus Kurz - Radio Dreyeckland Freiburg - Jazzredaktion


Jazzin’ the Black Forest

Buch: The Complete Guide to SABA/MPS-Jazz Records (ISBN 3-9805820-1-9)
Limited CD (1000): Rare and unreleased MPS-Tracks
(MPS CDHW/BCD2 - Crippled Dick Hot Wax)

Ausstellung und Konzert: 19. Juni 1999, Neue Tonhalle, Villingen


Ein Wiedersehen mit SABA/MPS-Records: Daten, Fakten, Anekdoten und Histörchen aus der fast 25 Jahre währenden MPS-Label-Geschichte - verschnürt in einer im quadratischen LP-Format erscheinenden Enzyklopädie, deren Erscheinen den Anlaß gab für die MPS-Retrospektive „Jazzin’ the Black Forest“ am 19.06.1999 in der Neuen Tonhalle in Villingen mit Konzerten und einer Ausstellung der Originalcover aller SABA/MPS Jazz-Schallplatten von 1959 bis 1983.

MPS - steht für „Musik Produktion Schwarzwald“, kann aber auch als Akronym für „Most Perfect Sound“ gelesen werden, was bei den über 600 Jazz-Schallplattenproduktionen immer die oberste Maxime von Label-Gründer Hans Georg Brunner-Schwer war, dem Jazz-Mäzen und Miteigner der damals schon für deutsche Wertarbeit stehenden legendären Firma SABA (Schwarzwälder Apparatebauanstalt), der Marke, die auch für Qualität bei der Radio-, Tonband- und Fernsehtechnik der 50er und 60er Jahre stand. Bereits in den 50er Jahren baute HGBS seine Tonstudios auf und produzierte seine ersten Jazzplatten auf dem SABA-Label. Nach dem Verkauf von SABA konnte sich HGBS mit MPS ab 1968 mehr auf die Musikproduktionen konzentrieren. Mit einem Statement Dieter Reiths aus dem jetzt erschienenen Buch „Jazzin’ the Black Forest“ kann man das Engagemant von HGBS auf einen Punkt bringen: „Andere Persönlichkeiten seines Kalibers investierten ihr Geld in Yachten und Parties... er produzierte Jazz und half Musikern, ihre musikalischen Träume zu verwirklichen.“ In Wohnzimmerstudio von HGBS waren viele Jazzgrößen der 60er und 70er Jahre bei seinen Hauskonzerten zu Gast, von Oscar Peterson über Ella Fitzgerald und Bill Evans bis zu Duke Ellington, um nur die bekanntesten zu nennen.

Das neu erweckte Interesse an MPS aus der sich zeitweise im Retro-Sog befindlichen DJ- und Clubkultur der 90er hat sicherlich einen Impuls für dieses Wiedersehen und vor allem Wiederhören der alten MPS-Platten gegeben, was man auch an der Auswahl der Stücke auf der Compilation-CD „Between or beyond the Black Forest“ hören kann, sowie an deren Untertitel „Dancefloor Jazz Classics from the Legendary MPS Label“ ablesen kann. Befragt ob er mit seinen MPS-Produktionen bestimmte Hörerschichten ansprechen wollte, räumte HGBS ein, daß er diesbezüglich keine klaren Intentionen gehabt habe, sondern im Grunde immer nur die Musik produziert habe, die ihm gefiel. Ihn störe auch nicht die Etikettierung von manchen alten MPS-Titeln als „Dancefloor Classics“ durch die heutige DJ-Generation. Über das Swing-Revival freut er sich und merkt an, daß die von ihm produzierten Platten im Grunde immer Swing hatten und bringt’s auf den Punkt: „Ohne Swing kann ich nicht leben.“ Auf die ihm sicher öfter gestellte Frage nach den noch unveröffentlichten Schätzen aus seinen Archiven reagiert HGBS eher zurückhaltend. Dem Buch ist ja eine - allerdings limitierte - CD mit unveröffentlichem Material beigelegt. Gerüchte gibt es aber u.a. auch von einer kompletten, noch ungehobenen Bill Evans Session.

Den Autoren des Buches, dem Duisburger Medienprofessor Klaus-Gotthard Fischer und Michael Frohne, Jazzredaktion Radio Dreyeckland, war aber eher daran gelegen, mit diesem Buchprojekt die Schätze der MPS-Archive für die heute wieder interessierte Jazzwelt zu dokumentieren und nicht ins Vergessen abdriften zu lassen. Insgesamt 8 Jahre Arbeit stecken in diesem enzyklopädischen Werk. In dem 2-Kilo-Buch sind die Aufnahmedaten und Coverabbildungen aller SABA/MPS-LPs enthalten, von denen einige besonders rare Exemplare mittlerweile für mehrere hundert Mark gehandelt werden (bspw. Benny Bailey Sextet: Soul Eyes, Ira Kris Group: Jazzanova oder die beiden Nathan Davis LPs). Der Hauptteil dieser famosen diskographischen Arbeit - das sei hier einmal bemerkt - wurde von unserem Redaktionsmitglied Michael Frohne geleistet.

Auch die MPS-CD-Reissues sind bereits im Buch eingearbeitet. Leider wurden von Motor bzw. Universal nicht immer die Original-LPs restauriert, wie es sicherlich bei einem japanischen Reissue gemacht worden wäre, sondern es wurden meist nur Sampler aus mehreren Original-LPs zusammengestellt. In einigen Fällen wurden auch 2 oder 3 Originalplatten komplett unter neuem Titel auf eine CD/DCD komprimiert. Man muß aber auf jeden Fall schon froh darüber sein, daß überhaupt die eine oder andere SABA- bzw. MPS-LP als CD wieder erscheint. Auch HGBS hatte keinerlei Einfluß auf die Auswahl und die Zusammenstellung der von Motor bzw. Universal auf CD wieder aufgelegten MPS-Titel. Wohl aber hatte er bei Universal darum gebeten, daß das für die CD-Reissues in den USA aufbereitete Material nicht verändert und datenreduziert überspielt werden sollte.

Im Buch sind außerdem Interviews mit Hans Georg Brunner-Schwer und Joachim Ernst Berendt enthalten, die Einblicke geben in die kreativen Jahre von MPS, die heute mitunter als die „Good Old MPS Times“ apostrophiert werden. Die ersten 1000 Bücher enthalten als besonderes Bonmot eine limitierte CD „Jazzin’ the Black Forest“ mit unveröffentlichten Titeln aus dem MPS-Archiv, zusammengestellt von HGBS, die ersten 300 Exemplare sind vom Autor Klaus-Gotthard Fischer und HGBS signiert.

Höhepunkt des Abends in der Neuen Tonhalle war ein Konzert mit Wolfgang Dauner, Lee Konitz und dem speziell für diesen Anlaß re-formierten Gunter Hampel Heartplants Quintett, das bis auf den verstorbenen Bassisten Buschi Niebergall in der Originalbesetzung mit Gunter Hampel (saxes, b cl, fl, vibes), Manfred Schoof (tp, flh), Alexander von Schlippenbach (p), Jan Roda (b) und Pierre Courbois (dr) zusammenspielte und eine packende Vorstellung bot. Leider ist die Original-LP „Heartplants“ bisher noch nicht auf CD wieder veröffentlicht worden. Vor dem Gunter Hampel Quintett hatten Wolfgang Dauner am Piano und Lee Konitz am Altsaxophon jeweils solo gespielt, danach im Duo das zunächst fast nicht wieder zu erkennende „All the Things you are“ angestimmt.

MPS war nach dem Verkauf der Rechte an Polygram und dem Ende der MPS-Sessions 1983, das - Zufall oder auch nicht - fast zeitgleich mit der Markteinführung der CD zusammenfiel, in der Musikkultur der 80er erst einmal passé, es waren andere Sounds meist künstlicherer Art angesagt, auch der Jazz stand in einer Regenerationsphase von den Fusiondominanz der 70er und am Anfang einer allmählichen Neuorientierung zum „Anything goes“ ab Ende der 80er/Anfang der 90er. Mit Aufnahmen von Albert Mangelsdorff, der schon bei der ersten SABA-Aufnahme am 11.02.1958 im Privat-Studio von HGBS dabei war, endeten die MPS-Sessions auch im Juni 1983 mit einer Aufnahme zusammen mit Lee Konitz.

MPS war „eine der schönsten Musikspielwiesen“ (Dieter Reith): das Fundament bildete der Piano-Jazz, hauptsächlich von Oscar Peterson. Dem eher konventionellen Repertoire von HGBS, eben dem Piano-Jazz und dem Swing, stellte damals als Produzent Joachim Ernst Berendt den ambitionierten Modern Jazz, die Avantgarde und die weltmusikalischen Akzente gegenüber. JEB hatte durch seine Radio-Produktionen für den SWF und Dank seinem Engagement bei den Berliner Jazztagen, dem New Jazz Meeting in Baden-Baden und den Donaueschinger Musiktagen weitreichende Kontakte zu den „entferntesten“ Musikern und brachte sie in die MPS-Studios.

In der Pressekonferenz hat HGBS noch einige Anekdoten und Details aus der MPS-Zeit mitgeteilt, so bspw. daß die Musiker aus den USA oder Übersee meist via Zürich Airport eingeflogen worden sind um lange, erschöpfende Anfahrtswege zu vermeiden. Etwa 60% der MPS-Produktionen wurden in Villingen aufgenommen, ansonsten gab es viele Live-Aufnahmen von den Berliner Jazztagen und den Musiktagen in Donaueschingen, beispielhaft seien hier nur die beiden Produktionen mit Sun Ra und Archie Shepp erwähnt, es waren aber auch einige unter der Regie von Gigi Campi in Köln entstandene (der CBBB - Clarke Boland Big Band) oder sogar in den USA aufgenommene Platten darunter.

Es gab immer wieder Gerüchte über Meinungsverschiedenheiten oder sogar Zerwürfnisse zwischen HGBS und Joachim Ernst Berendt. HGBS hat das relativiert auf ganz normale Meinungsverschiedenheiten, wie sie eben bei dieser Vielzahl an unterschiedlichen Projekten und Musikrichtungen auch bei MPS vorgekommen seien und dies mit einer ganz amüsanten Anekdote von einer Aufnahmesession mit dem Piano-Exzentriker Cecil Taylor belegt: Berendt hatte ihn vor den Marotten von Cecil Taylor schon mehrfach gewarnt und von seinen Schwierigkeiten mit Taylor bei vorangegangenen Aufnahmesessions berichtet. Als Cecil Taylor für eine anberaumte Session, die eigentlich von Berendt hätte produziert werden sollen, bei HGBS im Studio in Villingen war und Berendt sich verspätet hatte, war HGBS natürlich schon einmal mit Taylor im Plausch und hatte ihn dann auch ans Piano gebeten. Wie auch immer, gezähmt von der Wohnzimmeratmosphäre bei HGBS und dessen Eloquenz, Taylor spielte ohne Aufhebens die Session in einer dreiviertel Stunde in einem Guß durch, und HGBS ließ natürlich die Bänder mitlaufen. Als JEB dann wenig später auftauchte und gleich damit begann, Vorbereitungen für die Besänftigung von Cecil Taylor zu treffen, war er natürlich gelinde gesagt überrascht als ihm HGBS eröffnete, daß er die Session schon im Kasten hätte.

Statements und Anekdoten von MPS-Musikern sind auch im Buch zwischen den Info-Blöcken eingestreut, so bspw. von dem aus Kansas City stammenden Tenorsaxophonisten und Flötisten Nathan Davis, der höchst erstaunt war, die Gagen für die Aufnahmen bereits im voraus zu erhalten ("That shocked me, it had never happened to me before") und sich darüber hinaus wunderte, daß ihm die Wünsche quasi von den Augen abgelesen wurden.

Bandleader Peter Herbolzheimer bezeichnete MPS gar als das deutsche Blue Note, sicher keine ganz falsche Parallele wenn man bedenkt, daß auch HGBS die Musik Produktion Schwarzwald mit der gleichen Akribie und dem gleichen Engagement für den Jazz formte, wie es der aus Deutschland geflohene Jude Alfred Lion 20 Jahre zuvor mit Blue Note vorgemacht hat, der ebenfalls Maßstäbe hinsichtlich Aufnahmetechnik und Pressqualität gesetzt hatte. Und was nur die wenigsten MPS-Fans wissen: HGBS hat auch nach MPS noch Hauskonzerte gemacht, zuletzt vor etwa 2 Jahren mit Herb Ellis und Ray Brown. Und er hat wieder ein eigenes Label. Wie anders könnte es heißen als „HGBS“?


>Vorgestellte< Titel:

Aufnahmedatum: 1959-1982


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© markus kurz 99.07.04